Die Geschichte vom Samenkorn bis zur Blüte – ein Apfel kommt zu Wort
Vorgestellt von Kräuterpädagogin Andrea Illguth
„An Apple a day keeps the docotor away“. Ein immer wieder gern zitierter Satz, tatsächlich ist etwas dran, Äpfel sind für die gesunde Ernährung sehr wichtig, glänzen mit ihrer vielfältigen Geschmacks- und Sortenvielfalt. Reich an Mineralstoffen, Spurenelementen und Antioxidantien, hat es dieses Obst ganz nach oben auf die Beliebtheitsskala geschafft, vor allem bei uns in Deutschland. Jeder von uns soll 125 Äpfel im Jahr verspeisen. Unzählige Male hatten Sie schon Malus floribunda in den Händen – ist Ihnen schon mal der Gedanke gekommen, welchen Entwicklungsstadien er durchlaufen hat? Vom Samenkorn angefangen bis hin zum reifen und saftigen Apfel.
Im Frühling blüht alles wunderschön und genau dort möchte ich mit der Geschichte des Apfels beginnen.
Rund um den Globus haben alle Pflanzen etwas gemeinsam, sie reagieren auf den Wechsel der Jahreszeiten. Egal auf welcher Hemisphäre sie angesiedelt sind, wachsen, keimen und vermehren sich die allermeisten im Frühjahr und im Sommer. In der Wärme sind auch viel mehr Bestäuber unterwegs. Die potentiellen Befruchter, wollen von den Pflanzen gebührend anlockt werden, je duftender und auffallender die Blüten, desto mehr Insekten besuchen die Pflanze. Ihre Gegenleistung ist proteinreicher Pollen und süßer Nektar. Damit es aber überhaupt zu Blütenbildung kommt, wird zuerst in den Blättern das Hormon Florigen gebildet, das Signal für die Pflanzen: „Jetzt darfst du Blühen“! Aufgrund der Sonneneinstrahlung wird eine genetische Veränderung ausgelöst, damit die Produktion dieses Pflanzenhormons angeregt wird. Je nach Tageslänge wird mehr oder weniger Florigen produziert. Je nach Art brauchen manche Pflanzen mehr oder weniger Tagelicht. Das führ automatisch dazu, dass sich die Blüten zu unterschiedlichen Jahreszeiten öffnen. Im Hochsommer blüht zum Beispiel, ganz besonders stakt, der Beifuß. Die Dahlie hingegen, bis in den Frost hinein. Im Spätsommer ist die Zeit für das Ansetzen der Samen gekommen, im Herbst verlangsamt sich das Wachstum, die Samen werden freigegeben, denn der Winter steht vor der Tür. Und die Geschichte beginnt!
Mit einem dumpfen Laut falle ich zu Boden. Es ist Herbst, meine Backen sind rot, mein Fruchtfleisch süß, saftig und gesund. So liege ich nun im Morgentau benetzen Gras, meine Verwandten um mich herum sind alle schon aufgesammelt. Nur mich haben sie vergessen, oder war es diese unschöne braune Stelle, weshalb ich noch hier auf der Erde liege? Für die Tierchen biete ich ein Festmahl, der normale Verfall trägt den Rest dazu bei mich verschwinden zu lassen. Aber auch wenn ihr mich nicht mehr seht, meine Samen, ganz kleine braune Tropfen, sind noch da und mit viel Glück sprießt daraus etwas Neues. Einer oder mehrere meiner Kleinen werden es schaffen, sie tragen nämlich sämtliche Informationen für Wachstum in sich. Sie wollen sich entwickeln, das ist genetisch festgelegt. Doch erst ist noch Schonzeit angesagt, ein wenig chillen und rumliegen. Die Jugend ist oft voller Tatendran, angetrieben von unbändigem Lebensdurst. Der Schuss kann da leicht nach hinten los gehen, im Leben braucht es für alles den richtigen Zeitpunkt. Das gilt auch für meine 10 Kleinen, in ihrem Fall bedeutet der richtige Zeitpunkt des Keimens überleben, der falsche bringt den Tod. Sie müssen nur noch den Winter überstehen, sobald der Frühling wieder ins Land zieht und die Erde erwärm, kann es los gehen. Die Natur wird alles richten, das Leben setzt sich immer durch.
Und diese Gedanken beruhigen mich, lassen mich in tiefster Zufriedenheit, was war und kommen mag, leise, ganz leise, jedoch mit einem klitzekleinen Seufzer verstummen.
Da liegen sie nun auf der Erde, einsam und allein gelassen. In ihren fünf Zimmern war es vorher gemütlicher. Für die erste Zeit gut gerüstet, in einem braunen, steifen Mantel, das Innere voller Proteine und sekundären Pflanzenstoffen.
Da ertönt eine feine, leise, doch mutige Stimme: „Als Erst-Herausgefallener möchte ich mich zu Wort melden. Meine Intuition sagt mir, dass es sehr wichtig ist, dem Gefühl des Aufsprigens und des Spießens, auf keinen Fall nachzugeben, wir sollten erst einmal besonnen abwarten, bitte, glaubt mir!“
Bald wird es nämlich sehr kalt werden, das winzige Etwas, das aus uns heraus entstehen möchte, würde bei den frostigen Temperaturen, die im Anmarsch sind, in null Komma nichts zerstört werden. Die Natur überlässt garantiert nichts dem Zufall, wir haben einen Stoff in uns (Blausäureglykosid), auf ihn können wir uns verlassen, er hemmt und unterdrückt das Keimen. Erst wenn dieser Stoff abgebaut ist – im Frühjahr, wird es so weit sein – dann kann es mit der Selbstständigkeit und dem Wachsen losgehen.
Die anderen schauen den witzigen kleinen Besserwisser belustigt, aber auch interessiert an. Das hätte ihm keiner Zugetraut.
„Wenn es euch recht ist, erzähle ich euch alles was ich weiß?“ Der Winzling versteht es höflich zu sein, er kennt sich aus, mit einer charmanten und netten Art kommt man im Leben immer weiter. Da ihn alle wohlwollend, mit freundlichen Gesichtern anschauen, sieht er das als Aufforderung an, weiter zu erzählen.
„Im Frühling, ist es so weit, sprudelte es aus dem Kernchen heraus. „Da können wir zerspringen vor Glück und unserer Entwicklung feien Lauf lassen. Unser Motor für das Gelingen unserer Fortpflanzung unterliegt zwar wichtigen Vorrausetzungen, diese wären, betonte er ganz fachmännisch: Wärme, Wasser, Licht und Sauerstoff. Dieses Zusammenspiel der Faktoren bringt Prozesse in Gang und unser Innerstes strebt nach außen. Unser schützender Mantel gibt nach, wir verbinden, verwurzeln uns mit der Erde, unserer Mutter. Gierig können wir nun das nährstoffreiche Wasser aufsaugen, unseren Wurzelradius vergrößern.
Selbst überrascht von seinem unglaublichen Redefluss und seinem Wissen, das aus der Tiefe seiner Seele zu kommen schein, schaut er wieder neugierig und abschätzend in die Runde seiner verdutzten und gespannten Zuhörer. Erstaunen, Sprachlosigkeit und gerührte Mienen, fordern ihn sogleich auf, bitte nicht zu unterbrechen. Alle wollen ihre ureigene Geschichte hören.
Kurz muss sich der Erzähler sammeln und seine Gedanken ordnen. „Ich war bei unseren Wurzeln stehen geblieben, sie versorgen und mit Wasser und den darin enthaltenen Nährstoffen, geben uns Bodenhaftung. Denn ohne starke Wurzeln kann der Erfolg im Leben ausbleiben, demjenigen dem die Bodenhaftung fehlt, der kommt nicht richtig zu Kräften.
Das Philosophiere scheint dem Erzähler vom roten Faden abzubringen.
Da reißt ihn eine nicht zaghafte Stimme aus seinen Gedanken. „Kannst du bitte endlich weitersprechen, was geschieht mit uns?“
Keiner von den anderen hat einen Plan, darum ist alle Aufmerksamkeit wieder auf den Erzähler gerichtet, es wird wieder mucksmäuschenstill.
„Die Wurzel ist versorgt, dann bildet sich ein Spross mit Keimblättern, in ihnen sind Reservestoffe. Diese liefern uns die notwendige Energie, um unsere Laubblätter zu bilden. Die Laubblätter können nun mit Hilfe des Sonnenlichts und unseren grünen Farbstoff Chlorophyll, Photosynthese betreiben. Durch die Umwandlung der Stoffe entsteht ein Kreislauf, der uns ab jetzt alles ermöglicht!“
Zehn Jahre später: Ein äußerst fescher Apfelbaum steht in voller Pracht in einer Streuobstwiese. Er ist es! Ja genau, unser kleiner Erzähler - Apfelkern! Insekten schwirren, von ihm gut genährt, von einer Blüte zur anderen. Gerade hat eine fleißige Biene, als Fremdbestäuberin, den Pollen von einem Staubbeutel einer anderen Blüte, derselben Art dabei, schon ist dieser auf die Narbe der nächsten Blüte platziert. Die Pollenkörner bilden nun einen Schlauch, er wächst durch den Griffel bis zum Fruchtknoten. Männliche Fortpflanzungszellen gelangen so zum Fruchtknoten, um dort weibliche Eizellen zu befruchten. Ein neuer Apfel entsteht.
Es ist Herbst, mit einem dumpfen Laut fällt er zu Boden, dort liegt er, im Morgentau benetzten Gras. Es ist die Geschichte ohne Ende – denn der Anfang steht schon wieder vor der Tür.